Ich sitze auf den Stufen vor der neuen Moschee in Istanbul. Gegenüber, auf der anderen Seite des Goldenen Horns der Galata Turm. Auf der linken Seite das Getümmel des Gewürzbasars. Neben mir mein Geschäftspartner Bastian Kröhnert, der Gründer von Strandschicht.

Einmal Lächeln bitte.
Klick.
Danke.

Der Fotograf, der uns hier für einen Beitrag in der BrandEins abbildet, schießt die Bilder zu einer Geschichte, die ich ein paar Jahre zuvor an der Uni nicht zu träumen gewagt hätte. Eine Geschichte mit mir als einem der Protagonisten, der für ein soziales Projekt auf dem Rad von Berlin nach Indien fährt und dabei gleichzeitig eine Firma mit 30 Angestellten leitet.

Das schlechtgehütetste (und häufig vergessene) Geheimnis von Unternehmern.

Strandschicht ist in gewisser Weise aus einem eigenen Bedarf heraus entstanden. Mein Geschäftspartner Bastian Kröhnert hat während seines Studiums viel gebloggt und hat sich Unterstützung mit den verschiedenen Tätigkeiten auf seinem Blog gewünscht. Virtuelle Persönliche Assistenten schienen da die perfekte Lösung. Damals gab es noch keinen Anbieter, der das in deutscher Sprache angeboten hat und somit war klar – da muss selbst eine Lösung geschaffen werden.

Auch heute sind Bastian und ich überzeugte Nutzer unserer eigenen Dienstleistung. Für uns war klar, dass wir nicht selbst und ständig in unseren Firmen und Projekten arbeiten wollen, sondern eine Struktur schaffen wollen, die es uns erlaubt AN der Firma zu arbeiten, wenn wir das wollen.

Einerseits hat das dazu geführt, dass wir wenn wir an der Firma arbeiten unheimlich produktiv sein können. Wir arbeiten nur noch an Wichtigem. Entwickeln neue Prozesse. Schaffen Funktionen.

Andererseits hat es uns die Freiheit gegeben unsere Lebensträume nicht ins Rentenalter verschieben zu müssen, weil wir vorher zu beschäftigt sind, um uns mal eine Auszeit zu gönnen.

Aber wie ist so etwas möglich? Wie muss man nicht selbst und ständig in der Firma arbeiten?

Die Antwort auf die Frage ist gleichzeitig wohl eines der mit am häufigsten genannten Buzzwörter von Unternehmern: Delegieren.

Komischerweise ist es gleichzeitig auch eines der Wörter, die von Freiberuflern und Entrepreneuren gerne wieder vergessen werden, so dass sie schnell im selbst und ständig landen, statt sich die Zeit nehmen zu können, die Früchte ihrer harten Arbeit zu genießen.

Ich kenne das. Ich war selbst da. Und ja, ich mache den „Fehler“ auch heute noch von Zeit zu Zeit. Aber als Bastian und ich uns 2010 entschieden haben, unserer Firma so aufzubauen, dass wir nicht ständig vor Ort sein müssen, dass wir nicht jede Kundenanfrage selbst beantworten müssen und dass unsere Mitarbeiter selbstständig, informierte und intelligente Entscheidungen treffen können, haben wir einen Schritt getan, der uns bis heute viele Möglichkeiten gibt.

Es war ein Anfang November 2011, als ich plötzlich wusste, dass ich mit dem Fahrrad von Berlin nach Indien fahren MUSS. Ich war voller Enthusiasmus, wie ich es nur selten vorher in meinem Leben gespürt habe.

Was für ein Abenteuer.

Ich hatte gerade erst den Beschluss gefasst und mir war klar, dass ich das nicht lange aufschieben darf.  Dafür ist das Leben einfach zu kurz. Ich glaube wenn man sich an seinem Sterbebett an etwas erinnert, dann vermutlich am ehesten an erfüllte Lebensträume, an Abenteuer und Reisen; weniger vermutlich an Nachtschichten im Büro und den Papierkram, den man in seinem Leben bewältigt hat.

Und obwohl ich wusste, dass mir diesen Traume erfüllen muss, stellten sich natürlich ein paar Fragen:

Wie würde die Firma funktionieren, wenn ich ein halbes Jahr oder ein Jahr mit dem Rad unterwegs bin, auf dem Weg durch Länder wie die Türkei, Iran und Pakistan?

Würde ich noch arbeiten können?

Würde der Service und die Kundenzufriedenheit darunter leiden?

Wie würde mein Geschäftspartner Bastian die Botschaft aufnehmen?

Glücklicherweise hatten wir in der Unternehmensstruktur schon etwas vorgesorgt und die Prozesse so strukturiert, dass weder Bastian noch ich gänzlich unersetzlich waren.

Bastian dazu auch schon einen Artikel geschrieben, wie man ein Unternehmen automatisieren kann, bzw. wie wir das Unternehmen auf Autopilot gesetzt haben. (Coming soon)

Für die Schnittstellen, an denen ich noch von Zeit zu Zeit wichtig war, habe ich versucht so weit es ging Vorsorgen zu treffen.

Mein Laptop hatte ich immer dabei. Wenn wir Internet hatten, egal ob an einer Tankstelle, bei einem Couchsurfing Host oder im Hotel, war ich sofort online, um zu checken, ob etwas wichtiges passiert war. Dabei hat mir vor allem die Superman-Methode geholfen, die Flut an E-Mails zu bewältigen.

Wenn wir länger als ein paar Tage in einem Land blieben, habe ich mir eine SIM mit 3G geholt und mein Telefon als WLAN Station genutzt.

Mit Sipgate hatte ich eine Berliner Festnetznummer. Anrufe die auf die Mailbox gingen, wurden mir als Email weitergeleitet. Viel musste ich glücklicherweise nicht beantworten aber es ging.

Dropbox, Skype, Google Drive, Evernote, unser CRM und Dutzende andere Tools für digitale Nomaden haben letztendlich dafür gesorgt, dass das Fahrrad zum mobilen Büro wurde. Aber ohne die Unterstützung der Assistenten, die letztendlich die ganze Show gerockt haben, hätte so etwas nie funktioniert.

Wie war es nun also mit dem mobilen Büro nach Indien zu radeln und dabei die ganze Zeit erreichbar zu sein?

Rückblickend muss ich sagen, dass ich erstaunt bin, wie gut es geklappt hat. Radeln mit der Firma im Handgepäck, oder richtiger gesagt, in der Fahrradtasche, hat für mich komplett neue Standards gesetzt, wie es heute möglich ist als Firmenchef unterwegs zu sein. Aber ich muss auch sagen, dass ich mich in Zukunft eher auf kürzere Reisen beschränken werde, denn spätestens ab Iran hatte ich Lust mal wieder richtig effektiv an meinen Projekten zu arbeiten. Und die Internet Geschwindigkeit in einigen Teilen der Welt kann einem doch noch manchmal ganz schön den Wind aus den Segeln der Produktivität nehmen.

Nach über sieben Monaten „on the road“ wieder nach Deutschland zu kommen, mir einen Lebenstraum erfüllt zu haben, und wieder an meiner Firma arbeiten zu können, das war für mich eine einschlägige Erfahrung.

In Projekten, die ich jetzt starte, versuche ich immens darauf zu achten, dass mir als Entrepreneur die Möglichkeit von unterwegs zu arbeiten nicht abhanden kommt. Die digitale Zusammenarbeit mit den Assistenten und die genannten Online-Tools haben diese Tour für mich möglich gemacht – ohne mich zwischen dem Unternehmen oder der Reise entscheiden zu müssen. Ich konnte beides machen. Und ich glaube das ist eine Erkenntnis, die es sich lohnt zu teilen.

Wir sollten uns öfter fragen, wie wir A und B machen können, statt gleich davon auszugehen, dass A nur ohne B möglich ist.

Einkommen oder Zeit? Unternehmer sein oder Reisen? Beides ist möglich, wenn man es richtig designt. Wenn man sich überlegt, was man will, und dann verschiedene Wege zum Ziel testet. Und wenn dann A funktioniert und B auch noch, dann kann man eben auch mal eine Fahrradtour nach Indien wagen, ohne das Kollabieren der Firma zu riskieren.

Was halten Sie davon? Was sind Ihre Lebensträume? Konnten Sie Ihre Träume auch umsetzen, obwohl Sie arbeiten oder heben Sie sich das Beste bis zum Schluss auf? (beispielsweise bis die Kinder groß sind oder Sie in Rente gehen können?). Ich freue mich auf Ihren Kommentar.

PS: Hier der Link zu dem Film der über die Tour entstanden ist und hier der Link zu der Serie die zu dem Film bei ARTE future gezeigt wurde.